Krisen richtig begegnen. Mit PDF: Was ist mein Krisenmuster?

Krisen gehören notwendig zu unserer Entwicklung. Wir lernen daraus. Aber ein Happy End ist nicht garantiert. Deshalb hilft der Blick auf unsere Krisenmuster.
Krisen richtig begegnen
Was ist eine Krise? Per Definition ist sie der Höhepunkt einer negativen Entwicklung, für deren Lösung uns die Mittel fehlen. Weil wir die Kompetenz, die wir jetzt bräuchten, noch nicht erarbeitet haben, oder sie uns unter dem großen emotionalen Druck verloren gegangen ist. Dann fallen wir in alte, möglicherweise längst überwundene Muster zurück, die sehr häufig von unserer Herkunftsfamilie geprägt sind. Wie entstehen Krisen? Nach dem amerikanischen Psychoanalytiker Erik Erikson ist ihr Auftreten vollkommen normal, sie seien ein „unabdingbarer Bestandteil jeder gesunden menschlichen Entwicklung, sie treten periodisch immer bei einem Übergang von einem Lebensabschnitt zum anderen auf. Sie sind Nahtstellen und Wendepunkte am Beginn einer neuen Lebensphase.“

Krisen sind Wendepunkte im Leben

Veränderungen fordern uns auf unterschiedlichen Ebenen heraus.
  • Körperlich-biologisch: Wir werden älter, erkranken, erleben Einschnitte wie die Menopause, den Verlust an Leistungsfähigkeit mit fortschreitendem Alter.
  • Auf der Beziehungsebene: Wir kommen zusammen, trennen uns wieder, finden einen neuen Partner, heiraten, bekommen Kinder, die Kinder gehen aus dem Haus, werden Großeltern.
  • Beruflich: Wirmachen eine Ausbildung und Karriere (oder eben nicht), wechseln die Arbeitsstelle, vielleicht den Beruf, gehen in Rente.
  • Technologisch: Wir erleben immer wieder neue Umwälzungen, privat und vor allem im Beruf – mit allen Konsequenzen für uns persönlich.
  • Gesellschaftlich: Politische und ökonomische Umwälzungen können das gesellschaftliche Klima und damit unser Lebensgefühl massiv verändern.

Krisen kündigen sich meist an

Angesichts so grundlegender Veränderungen kann es nicht überraschen, wenn uns Krisen erwischen. Und sie kommen meist nicht über Nacht. Bereits lange Zeit davor gab es Anzeichen, dass etwas in die falsche Richtung läuft. Jeder, der auf dem Höhepunkt eines Burnouts zusammenbricht, war chronisch erschöpft, gereizt und fühlte sich innerlich leer. Der Trennung eines Paares geht fast immer eine Zeit der Entfremdung, Sprachlosigkeit, der sexuellen Unlust voraus. Eine Insolvenz kündigt sich auf den Konten an. Oft haben sogar Menschen in unserem Umfeld Warnungen ausgesprochen. Aber wie stark die Warnsignale auch waren – wir wollten sie einfach nicht hören. Warum? Weil wir gefangen sind im dysfunktionalen Muster. Ein Grund dafür liegt zum einen in der Struktur unseres Gehirns. Immer alles zu machen wie gewohnt, fordert unserem Stoffwechsel den geringsten Einsatz ab. Jede Veränderung dagegen kostet Kraft, viel Kraft.

Unsere Krisenmuster sind oft dysfunktional

Aber wir überschätzen auch unsere Möglichkeiten, sagt Winfried Berner, Psychologe, Unternehmensberater und Experte für Krisenprävention: „Viele Menschen hantieren mit Kontroll-Illusionen. Sie haben die Annahme, deutlich mehr unter Kontrolle zu haben, als es tatsächlich der Fall ist.“ Wir überschätzen unseren Informationsstand, unsere Kompetenz und unseren Einfluss auf Entwicklungen. Und wir geben uns der verzweifelten Hoffnung hin, dass wir die drängenden Probleme schon noch lösen könnten, wenn wir uns mehr anstrengen – obwohl die Kraft dafür eigentlich gar nicht mehr zur Verfügung steht.
Dem eigenen Krisenmuster auf die Spur kommen: im Fragebogen „10 Fragen an mich selbst“ zum Download

Die Angst ist der treue Begleiter von Krisen

Zudem vermeiden wir ein sehr unangenehmes Gefühl: die Angst. Sie ist der treue Begleiter jeder Krise. Wir fühlen uns von der Veränderung, die wir angehen müssten, bedroht. Unser Selbstwert und unsere Überzeugungen werden infrage gestellt. Deswegen sei die erste Reaktion auf ein Krisensymptom eigentlich immer Abwehr, hat Winfried Berner beobachtet. „Statt die Angst wahrzunehmen und sich ihr zu stellen, werden wir wütend, um sie nicht zu spüren.“ Die Angst hat sich zwar schon ins Unbewusstes geschlichen und Symptome ausgelöst, die uns die Krise ankündigen: Aufregung und Nervosität, Unsicherheit Aggressivität, vielleicht Depressionen. Auch der Körper meldet sich mit Herzklopfen oder Kopf- und Magenschmerzen. Wir müssten Abschied nehmen vom Vertrauten, müssten neue Strategien entwickeln, neue Kompetenzen erarbeiten. Aber das verweigern wir. Denn im Moment der heraufziehenden Krise fehlt uns das Verständnis für einen positiven Ausblick. Jetzt steht allein der drohende Verlust im Mittelpunkt. „Der Übergang wird zur Krise, wenn ich Angst habe vor dem Neuen und dann auch noch bockig werde, weil ich einfach nicht will, dass sich etwas verändert“, sagt die Psychoanalytikerin Verena Kast, Autorin des Klassikers „Lebenskrisen werden Lebenschancen“.

Es gibt keine Gewähr für ein Happy End

Wir versuchen, die Krise so lange zu ignorieren, bis es wirklich nicht mehr geht. Bis etwa eine Reaktion des Körpers uns aus dem Verkehr zieht – ein typischer Verlauf. Oder die Partnerin, der Partner sich trennt. Die Bank alle Kredite fällig stellt. So bedrängend das ist: Jetzt muss Verkrustetes, Gewohntes, zur Normalität Gewordenes, das schon lange nicht mehr trägt, endlich aufbrechen. Freilich gibt es keine Gewähr für ein Happy End. Das Scheitern ist ebenso plausibel. Ja, die Krise birgt die Chance für Entwicklung, Wachstum, Weisheit. Sie ist eine Periode besonderer Offenheit für Neues, eine Zeit großer Wandlungsfähigkeit – aber eben auch großer Gefahr. Wir sind anfällig und verletzlich. Wir brauchen andere Menschen, die uns stützen.

Partner:innen triggern sich oft gegenseitig

Idealerweise ist das die Partnerin oder der Partner. Nicht selten löst aber die Krise des einen die Krise der Beziehung aus, sagt die Paartherapeutin Ulla Holm: „Paare triggern sich. Wenn einer in die Krise kommt, dann aktiviert das bei beiden die individuellen Themen. Die Reaktionen sind oft nicht von Wissen getragen, sondern vom Reflex. Dann setzt ein automatisiertes Verhalten ein, ein Hochschaukeln, Wegschauen, Vertrösten oder Verniedlichen, abhängig von den individuellen Mustern. Männer werden häufig aggressiv, Frauen neigen zu Depressionen.“ Dann gilt es, auseinander zu sortieren: Welches Problem muss der einzelne lösen, welches haben beide miteinander? Das gelingt in der Regel nur mithilfe eines Außenstehenden.

Hilfreich: eine Krisenintervention

Wir brauchen eine Krisenintervention. Wir brauchen jemanden, der uns emotional stabilisiert und die Fakten sortieren hilft. Die Ausgangssituation für die Bewältigung von Krisen sei bei vielen Menschen ja eigentlich gut, sagt Verena Kast: „Wir bringen sehr viele Kompetenzen mit, auch für den Umgang mit schwierigen Lebenssituationen. Wir brauchen nur dringend einen Menschen, der sie uns wieder ins Gedächtnis zurückholt und die notwendige Wertschätzung einbringt.“ Der uns erst einmal hilft, die richtigen Fragen zu stellen, um ein klareres Bild der Situation zu bekommen.
  • Der Partner zieht aus – reicht das Geld für die Miete, und wer bringt jetzt die Kinder in die Kita?
  • Ich bin selbständig, muss aber für mehrere Wochen in die Reha – was zahlt die Krankenversicherung, und gibt es befreundete Unternehmer, die meine Aufträge übernehmen können?
  • Meine Mutter wird dement – wer kann sich außer mir um sie kümmern?
  • Ich stehe vor der Insolvenz – wie vermeide ich noch höhere Schulden und sichere Lebensunterhalt und Wohnung?

Jede Krise hat spezifische Aspekte

Jede Krise hat ihre spezifischen Aspekte, und je genauer wir sie anschauen, umso besser sind unsere Chancen. So bleiben wir handlungsfähig – und wir entängstigen uns. Das ist der entscheidende Schritt zur Bewältigung. Ob die Krise zur Chance wird oder zur Falle, hängt vom Umgang mit Angst und Unsicherheit ab. Das ist eine Schlüsselqualifikation. Und wer eine Krise erfolgreich meistert, fühlt sich gestärkt und kompetenter.

Krisen das Zerstörerische nehmen

Lassen sich Krisen vermeiden? Ja, jedenfalls in ihrer zerstörerischen Dramatik. Wenn wir unsere Wahrnehmung für Übergänge und unvermeidliche Entwicklungen schärfen, Warnhinweisen Aufmerksamkeit schenken und bereit sind, unser Handeln tatsächlich neu auszurichten. Wenn wir uns eingestehen, dass wir nicht alles alleine lösen können, sondern Hilfe brauchen. Eine anspruchsvolle Aufgabe. Dabei kommt es auf Bewusstheit an, sagt Verena Kast. „Eine wichtige Frage ist: wie viel Kontakt habe ich zu mir selbst? Merke ich überhaupt, dass ich etwas mehr Angst habe als früher, mir mehr Sorgen mache? Nehme ich das als lästig – oder halte ich inne und bemerke: Irgendetwas will neu werden? Dafür braucht man Zeit! Wir haben die Tendenz zu denken, so etwas sollte gar nicht sein. Wir sollten immer fit und gut beieinander sein. Aber so ist es eben nicht. Und dafür bekomme ich ein Gefühl, wenn ich mit mir im Kontakt bin.“

Krisenbewältigung – eine Ressource

„Never waste a crisis“, sagt ein amerikanisches Sprichwort: Wenn man schon eine Krise hat, dann soll man sie nutzen und daraus lernen. Denn nur so wird die Erfahrung zur Ressource.
Das Bewusstsein für unsere Krisenmuster lässt sich vertiefen: mit dem Fragebogen „Krisenmuster erkennen – 10 Fragen an mich selbst , mit Tagebuchschreiben, mit autobiografischem Schreiben und – in einem akuten Fall – natürlich in einem Coaching.

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