„Ist das dein Ernst? Wer will das denn wohl lesen?!“

Wie unsere inneren Kritiker uns beim Schreiben blockieren – und wie wir sie zu unseren Unterstützern verwandeln können.
Vortrag und Konzert

 Wie innere Kritiker uns beim Schreiben blockieren – und wie wir sie zu Partnern im Schaffensprozess verwandeln können.

Die Stimme ist laut, und sie klingt giftig: „Was soll denn dieses Geschreibsel? Meinst du im Ernst, dass sich irgendjemand dafür interessiert? Du bist doch eine Niete! Und schau lieber nochmal in den Duden – da sind mindestens drei Komma- und fünf Rechtschreibfehler drin. Lass den Scheiß! Mach lieber etwas, was du wenigstens halbwegs kannst!“

Wie würden wir auf jemanden reagieren, der in diesem Ton über uns herzieht, uns beschimpft und niedermacht? Wir würden ihn wutentbrannt aus der Wohnung werfen und seine Kontaktdaten im Handy löschen. Mit so einer miesen Type wollen wir auf keinen Fall mehr befreundet sein! Das Dumme ist nur: Diese miese Type ist ein Teil von uns selbst. Und die Stimme, die unbarmherzig jeden Absatz, jede Seite, jedes Kapitel verreißt, klingt in unserem Kopf. Sie ist unser schärfster – unser innerer Kritiker (der natürlich ebenso gut eine Kritikerin sein kann).

Ist die Kunst nicht nur etwas für andere?

Wir kennen alle Situationen, in denen wir in die Knie gegangen sind vor der Wucht dieser Beschimpfungen, dieser Kübel voller Spott. Wir haben Dinge, die wir eigentlich mit Liebe und Leidenschaft zum Erfolg bringen wollten, wieder ad acta gelegt. „Ich bin einfach nicht gut genug“, haben wir uns gesagt, eine Träne verdrückt und uns wieder dem Alltag zugewendet. „Schriftstellerei …“ – setzen Sie an dieser Stelle gerne Malerei, Schauspiel, Musik oder andere schöne Künste ein – „… ist nur etwas für andere.“

Alle Schriftsteller:innen kennen den inneren Kritiker

Aber es gibt eine gute Nachricht: Alle Schriftsteller:innen, selbst die erfolgreichsten, kennen diesen inneren Kritiker. Es gibt berühmte Beispiele, die ihm Wort um Wort abgerungen haben. Scott Fitzgerald etwa. Manchmal entsteht auf diese Weise also Weltliteratur wie „Der große Gatsby“. Manchmal vielleicht auch nur ein schmales Büchlein im Selbstverlag. Aber das Beispiel zahlloser Autor:innen zeigt, dass es eine Möglichkeit gibt, mit dem inneren Kritiker umzugehen (nein, sie waren längst nicht alle Genies). Ja, wir können diesen inneren Kritiker sogar zu einem Partner im Schaffensprozess erziehen. Das ist übrigens Teil meiner Seminare für autobiografisches Schreiben.

Warum triezt er uns eigentlich so?

Am Beginn dieser Wandlung steht eine Frage: Was haben wir eigentlich davon, dass es diese Stimme, diesen inneren Kritiker gibt ? Welche Vorteile haben wir dank seines Wirkens?

Ein paar Vorschläge:

  • Er bewahrt uns davor, uns zu blamieren.
  • Er hält uns auf sicherem Terrain und schützt uns vor Gefahren.
  • Er erspart uns viel Arbeit, deren Erfolg unklar ist.
  • Er fokussiert uns auf Dinge, die seiner Meinung nach sinnvoller sind.

Mit einem Wort: Er versucht uns zu beschützen – auf eine Weise, wie es autoritäre Eltern tun. Streng, abwertend und in einem Ton, dem man besser nicht widerspricht. Aber tief drinnen, so hoffen wir, gibt es einen Kern von Wohlwollen und Liebe.

Eine miese Type – unser Beschützer?

Es ist eine Art innerer Rollenverteilung. Jede/r von uns trägt widerstreitende Bedürfnisse in sich. Wir wollen uns entwickeln, aber wir lieben auch das Vertraute. Wir sehnen uns nach Selbstausdruck, aber wir wollen uns auch erholen. Wir möchten mit den Ergebnissen unserer Kreativität von anderen wahrgenommen werden, aber zugleich fürchten wir uns vor Kritik oder Spott. Und es ist die Rolle unseres inneren Kritikers, uns in dem festzuhalten, was vertraut, ruhig und sicher ist.

Machen wir uns das noch einmal klar: Diese innere Stimme soll uns beschützen. Und diese Erkenntnis – so habe ich es im Coaching oft erlebt – ändert alles. Denn auf einmal muss dieser innere Kritiker kein Gegner mehr sein, den es zu bekämpfen und rauszuschmeißen gilt. Er kann stattdessen zu einem Partner werden, der den Schaffensprozess unterstützt.

Wie das?

Wie sich unser Peiniger zum Unterstützer verwandelt

Schon das Wohlwollen, das wir dem inneren Kritiker entgegenbringen, ändert die Atmosphäre grundlegend. Er fühlt sich gehört – also muss er nicht mehr schreien. Er fühlt sich gesehen – und mäßigt deswegen seinen Ton. Wenn wir seinen Hinweis aufnehmen, dass der letzte Absatz, den wir gerade geschrieben haben, zu weitschweifig ist, profitieren beide. Der innere Kritiker, weil er seine Kompetenz gewürdigt sieht. Und wir als Autor:innen, weil im Kürzen auf einmal der präzisere, schwungvollere Text entsteht. Aus einem Kampf ist ein Dialog geworden.

Keine Frage: Seine Einwürfe können auch destruktiv sein. Dann sind sie zumeist die Repräsentanz der negativen Glaubenssätze, mit denen wir aufgewachsen sind (einen Blogbeitrag zu Glaubenssätzen der Kriegsenkel finden Sie hier). Sie aufzulösen und in förderliche innere Botschaften zu verwandeln, ist eine wichtige Aufgabe, zum Beispiel für ein Coaching. Auch das gelingt besser im Dialog. Und es kostet viel weniger Kraft.

Üben übt. Wirklich!

Und dann braucht es ein bisschen Geduld. Jahrzehntealte Muster lösen sich nicht einfach auf. Ein innerer Kritiker, der an harsche Töne und beißende Kritik gewöhnt ist, wird nicht über Nacht zum Flauschbärchen. Die neue innere Rollenverteilung will eingeübt werden. Zugleich entwickeln wir im Schreiben mehr Selbstbewusstsein. Es wird Rückfälle geben und Krisen. Aber Durchhalten lohnt sich. Von Seite 1 bis Seite 160 (oder Seite 350?) erleben wir die Veränderung, vom ersten zum zweiten zum dritten Buch umso mehr.

Auf einmal sind wir die Künstlerin und der Künstler, die wir immer schon waren. Und wir haben erlebt, wie ein sich ein Peiniger zum Unterstützer gewandelt hat.

Meine Angebote für Autor:innen

Ich biete regelmäßig Workshops an, in denen wir uns gemeinsam einem produktiven und kreativen Schreibprozess widmen.

Das Autor:innencoaching dagegen ist ein individuelles Coaching-Format. Hier unterstütze ich Autor:innen beim Schreiben ihres Buchs.

Foto: iStock

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