„Freu‘ dich bloß nicht zu früh!“

In unseren Glaubenssätzen leben die Prägungen der Kriegszeit weiter. Wie wir uns befreien können, war eines der Themen im Einsteigerseminar für Kriegsenkel in Hamburg.
Glaubenssätze der Kriegsenkel


In unseren Glaubenssätzen leben die Prägungen der Kriegs- und Nachkriegszeit weiter. Wie wir uns davon  befreien können, war eines der Themen im Einsteigerseminar für Kriegsenkel in Hamburg.

„Man muss mit dem Schlimmsten rechnen, dann kann es nur besser werden.“

„Uns geht’s doch noch gut!“

„Geh’ lieber auf Nummer sicher!“

„Stell dich nicht so an!“

Zwölf Menschen sitzen im Kreis und verteilen das Erbe ihrer Familie: Sprüche, Weisheiten, Anweisungen. Hunderte Male gehört und tief eingeprägt in unser System. Wir haben uns zusammengefunden zu einem Seminar des Kriegsenkel e.V., der Autor dieser Zeilen ist der Seminarleiter. Hartmut (alle Namen geändert) berichtet, wie seine Mutter jedes Mal, wenn er eine neue Aufgabe zu bewältigen hatte, sagte: „Das kannst du nicht!“ Dann konnte er es zwar doch, aber die Zweifel an der eigenen Kompetenz und Leistungsfähigkeit haben sich in 50 Jahren nicht aufgelöst.

Glaubenssätze erschweren den Weg durchs Leben

„Das bildest du dir alles nur ein.“

„Immer lächeln, aber wie’s drinnen aussieht, geht niemanden etwas an.“

„Was sollen denn die Leute sagen?!“

„Aber es war doch nicht alles schlecht.“

Lebendig ist die Runde, immer wieder erklingt ein, „oh, das kenne ich auch!“ Zwischen Trauer und Belustigung schwankt die Stimmung. Wir wissen, wie sehr uns dieses Gepäck, das uns die Eltern aufgebürdet haben, den Weg durchs Leben schwer gemacht hat. Aber irgendwie ist es auch befremdlich, ja, fast komisch, dieselben Sprüche aus dem Mund von Menschen zu hören, die wir erst an diesem Morgen kennengelernt haben.

Raum für persönliche Gespräche

Das Seminar bietet einen ersten Überblick über die verschiedenen Facetten des Themas Kriegsenkel: Glaubenssätze, transgenerationale Traumata, Therapiemethoden, Recherche zur eigenen Familiengeschichte, die Wahrnehmung der Fähigkeiten, die speziell unsere Generation erworben hat. Vor allem aber bietet es den Rahmen für sehr persönliche Gespräche. Und das wirkt ausgesprochen tröstlich, das bestimmende Gefühl an diesem Tag. „Wie schön, dass wir so offen sprechen konnten“, sagt Corinna in der Abschlussrunde. „Das hat mich sehr entlastet“. Und Birgit ergänzt: „Ich merke in dieser Gruppe, dass ich nicht alleine bin mit diesem Thema.“ Aus diesem Gefühl der Verbundenheit entsteht neue Kraft. „Das war für mich der Kick-Off!“ sagt Christa. „Jetzt verstehe ich endlich, was ich immer wissen wollte“, bekennt Martin. Und Peter ergänzt: „Ich habe einige Ansatzpunkte für die Recherche gefunden, um Licht in meine Familiengeschichte zu bringen.

Claudia bringt schließlich die Stimmung, die sich den Tag über bei den Teilnehmerinnen und Teilnehmern aufgebaut hat, auf den Punkt: „Jetzt geht es um mich!“

Foto: Allexxandar, Thinkstock

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