Viele Autor:innen, die in sich den Drang spüren, eine Biografie oder einen Roman zu veröffentlichen, scheuen davor zurück. Aus Angst. Die lässt sich überwinden. Eine Ermutigung.
Kunst schafft unvergessliche Momente. Wir sind ergriffen von der Ausdruckskraft einer Künstlerin, eines Künstlers, fühlen uns im Innersten berührt. Wir erinnern noch viele Jahre später, wann wir einen Song zum ersten Mal hörten, welche Gefühle uns beim Lesen eines Romans überwältigten, wie wir beim Anblick eines Gemäldes einen Zipfel der Unendlichkeit ergreifen konnten. Schöpfung ist Kunst, Kunst ist Schöpfung.
Aber wie geht es den Schöpfern?
Der Hilferuf eines Verzweifelten: „Ich will was aus mir machen, aber ich trau mich nicht … weil … ich SCHEITERN könnte … ungesehen aus dem Leben scheitern … Das darf es nicht gewesen sein! … Meine Frage an Euch: WIE könnt Ihr Euch nur trauen, etwas zu schreiben?“ Elian nennt er sich, ist 30 Jahre alt, und empfindet sich als Autor, der etwas zu sagen habe. „Hätte ich nicht diese irrationale Angst vor meinem Werk in mir.“
Schreiben – die Öffnung zum Selbstausdruck
Seit mehreren Jahren begleite ich Autorinnen und Autoren auf dem Weg zum fertigen Werk, zum Buch, das sie irgendwann gedruckt in Händen halten (wollen). Es sind wunderbare Texte, die sie schaffen, berührende, dramatische, erschütternde, romantische, lustige. Immer spüre ich beim Lesen der Manuskripte, wie bedeutsam es ist, dass sich diese Zeilen auf dem Papier, das aus dem Drucker kommt, materialisieren. Es ist wahrlich nicht so, dass die Autor:innen sich irgendwann gesagt hätten, sie müssten jetzt mal ein Buch schreiben, weil man das heute halt so macht. Nein, es schreibt sie! Eine Geschichte drängt heraus, will erzählt, will gelesen werden. Aber immer wieder in diesem Prozess, den wir eine Öffnung zum Selbstausdruck nennen können, erleben sie mitunter ein schwer überwindliches Hindernis: Angst.
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Till Raether: Schreiben ist Angstmanagement
Angst ist für viele eine zentrale Emotion beim Kunstschaffen. Der Schriftsteller Till Raether formuliert es drastisch: „Alle Probleme beim Schreiben haben mit Angst zu tun. Diese Probleme sind, in chronologischer Reihenfolge: nicht anfangen können, nicht weitermachen können und nicht aufhören können. In jeder dieser Phasen drohen weitere Probleme. Zum Beispiel vorher: Was will die leere Seite von mir, und was will ich von ihr, und wer von uns beiden ist eigentlich der Boss? Oder zum Ende, falls es eins gibt, die ängstliche Reue: Wäre es nicht doch noch besser gegangen? Erreicht, was ich geschrieben habe, überhaupt jemanden?“ Schreiben sei für ihn Angstmanagement, sagt Raether. Eigentlich liefere er Texte nur ab, weil er sich keinen Ärger mit denjenigen einhandeln wolle, die auf sie warteten.
Narzissmus als Antrieb zu veröffentlichen
Viele Künstler:innen, die veröffentlicht werden, treibt ihr Narzissmus voran und zu immer neuen Höchstleistungen, diese unerklärliche Furcht, von anderen nicht gesehen und anerkannt zu werden, wenn sie nicht die Besten sind. Ist die narzisstische Motivation dagegen nur schwach ausgeprägt, kann sich die Angst zu einer Blockade vor dem Werk aufbauen. Und das sei durchaus verständlich, findet der Berliner Psychotherapeut Nils Spitzer. „Sich zu exponieren für die Urteile anderer, ist wirklich ein Risiko. Es ist angemessen, das Fragile in dieser Situation zu spüren. Wenn die Leute über einen Romanautor sagen, ‚der kann’s ja nicht‘, dann ist das nicht leicht auszuhalten.“
Spitzer sieht zentrale Persönlichkeitsmerkmale, die unter der Angst liegen. Das erste: ein stark ausgeprägtes Sicherheitsstreben. Tatsächlich führt der Schaffensprozess zunächst in eine terra incognita. Fällt mir etwas Interessantes ein oder nur langweiliger Mist? „Ich weiß nie, was da kommt“, beschreibt Spitzer die Unsicherheit. „Wenn ich das früh kontrollieren will, blockiere ich.“ Ähnliches gelte für Auftritte in der Öffentlichkeit. „Das sind sehr unsichere Situationen: Wie reagieren die anderen? Das weiß ich nicht – und muss es aushalten können. Gelingt mir das nicht, werde ich prokrastinieren.“
Perfektionisten haben’s schwer
Beim Perfektionismus, so Spitzer, sei die Angst anders gelagert. Der habe durchaus seine Verführungen, etwa in der Fantasie des vollkommenen Kunstwerks. „In einem Moment, in dem ich überzeugt bin, Vollkommenheit erreichen zu können, erlebe ich mich sehr handlungsmächtig. Aber dann kommen die Belastungen und die Angst vorm Scheitern. Das unterscheidet den Perfektionisten vom Narzissten, bei dem die Vorstellung von der eigenen Grandiosität unabhängig von der Leistung besteht.“
Perfektionismus, erläutert der Therapeut, werde über verschiedene Wege gelernt. „Da gibt es unberechenbare Eltern, die besonders streng urteilen. Das Kind weiß gar nicht so genau, was sie erwarten. Er kann auch das Ergebnis einer vernachlässigenden Erziehung sein. Das Kind lädt sich sehr hohe Ansprüche auf, die von den Eltern nie korrigiert werden. Aber selbst überfürsorgliche Eltern können Perfektionismus provozieren. Sie führen vor, dass man immer alles richtig machen muss, weil Fehler so schrecklich sind.“
Wer nur nach Exzellenz strebt, hat es leichter
Eine Falle, in die der Perfektionismus führen kann: Er macht blind für die Situation. Die Rahmenbedingungen einer Produktion spielen keine Rolle. Ob Abgabetermin oder soziale Bedingungen – alles unwichtig angesichts der Anforderung an das perfekte Werk. „Das unterscheidet den Perfektionismus vom unschuldigen Exzellenz-Streben“ erläutert Nils Spitzer. „Jemand, der Exzellenz erreichen möchte, sagt nicht, ‚es muss perfekt sein, und die Rahmenbedingungen sind mir egal.‘ Er sagt: „Ich habe jetzt eine gewisse Zeit und eine gewisse Energie zur Verfügung, damit möchte ich zum bestmöglichen Ergebnis kommen.“
Nach dieser Leitlinie wurde Nils Spitzer selbst Autor: mit einem Buch über Perfektionismus. (Nils Spitzer, Perfektionismus überwinden. Müßiggang statt Selbstoptimierung. Berlin 2017) Die Befürchtungen, die er beim Schreiben durcharbeiten musste, sind noch präsent, auch die Angst nach der Veröffentlichung. „Ich war sehr, sehr angespannt. Zuerst kam die Verblüffung, dass erst einmal gar nichts passierte. Keine Mail, in der stand, ‚was haben Sie denn da verzapft?‘ Als dann doch Reaktionen kamen, konnte ich sie nicht ignorieren. Ich habe extreme Gefühle erlebt: Begeisterung, Ärger, das Gefühl, niedergeschmettert zu sein.“ Beim zweiten Buch – er schrieb über Ungewissheit – waren die Gefühle nicht mehr ganz so wuchtig.
Erfahrung hilft – und gemeinsames Arbeiten
Das ist eine der guten Nachrichten: Erfahrung hilft. Überhaupt gibt es eine ganze Reihe von Maßnahmen, die Künstler:innen über die Schwelle helfen können:
- Workshops mit anderen, die in einer wohlwollenden Atmosphäre ein angstreduziertes Arbeiten ermöglichen;
- selbstorganisierte Gruppen und Kreise, die ein soziales Netz von Unterstützung und Wertschätzung entstehen lassen;
- Coachings, in denen belastende Situationen oder Selbstzweifel bearbeitet und in positive Lösungen geführt werden können;
Gute Erfahrungen aus Coachings und Seminaren
Das habe ich in Coachings und den Seminaren zum autobiografischen und kreativen Schreiben, die ich anleite, oft erlebt: Gerade im persönlichen Kontakt mit Menschen, die ganz ähnliche Befürchtungen plagen, sie bei Gelegenheit schon erfolgreich überwinden konnten, gelingt es, Mut zu fassen, Selbstvertrauen aufzubauen und Lösungen für Probleme zu finden, die zuvor unüberwindlich schienen. Dieses Unterstützung, dieses Wohlwollen, diese Solidarität sind wunderbare Mittel, um sich zu entängstigen.
In Seminaren Wohlwollen, Solidarität und Unterstützung erleben – gemeinsam mit anderen Autor:innen.
Übungen für mehr Gelassenheit
Für manche mag auch eine Therapie hilfreich sein. Lampenfieber etwa ist gut behandelbar. Auch Persönlichkeitsanteile wie Perfektionismus oder ein starkes Sicherheitsstreben lassen sich verändern – mithilfe von Erfahrungen. „Indem man Übungen macht“, berichtet Nils Spitzer aus seiner Praxis. „Wir nennen das Mikro-Abenteuer. Gar nicht unbedingt die Kunst betreffend, sondern einfach so im Alltag. Wenn ich die Erfahrung mache, dass ich mich in ungewisse Situationen begeben kann, ohne dass etwas Dramatisches passiert, dann verändert das etwas.“ Ausprobieren, was passiert, wenn ich etwas nicht ganz perfekt mache – wie kommt das an? Nicht das gesamte Manuskript fertigstellen und anderen zu lesen geben, sondern erst einmal nur ein Kapitel daraus vorlesen.
„Man kann lernen, die eigenen hohen Ansprüche mit lockerer Hand zu halten“, sagt Nils Spitzer. Er zitiert ein amerikanisches Sprichwort: „Shoot for the stars but be happy landing on the moon.“