Der Wille zum Wohlbefinden – ein Schritt zur Heilung

Bewusstsein, Annehmen der Familiengeschichte, Unterstützung sind Faktoren, die Heilung ermöglichen. Entscheidend aber ist der Wille zum Wohlbefinden.
Sven Rohde - Life Balance

Bindungsprobleme mit Eltern und Kindern, innere Einsamkeit, rastlose Suche nach Sinn und Heimat, Ringen um Erfolg im Beruf – ein ganzes Bündel von Symptomen kennen viele von uns nur zu gut aus dem eigenen Leben. Die Ursachen sind uns mittlerweile hinlänglich bekannt (ich habe sie hier ausführlich beschrieben). Wie aber kann der Ausstieg aus Mustern gelingen, die unsere Familien womöglich seit Generationen prägen? Es gibt klar benennbare Faktoren, die eine Heilung ermöglichen.

Der Wille zum Wohlbefinden ist entscheidend

Der erste und grundlegende ist der Wunsch danach. Es ist die Bereitschaft, sich für Heilung einzusetzen – der „Wille zum Wohlbefinden“, wie Christina Bethell, Professorin für Gesundheitswesen an der Johns Hopkins Universität, das nennt. Oft suchten Traumatisierte gar nicht unbedingt Hilfe. „Es gibt hier viele Abwehrreaktionen und gesundheitlich ungünstige Verhaltensweisen. Betroffene müssen sich schon bewusst den Dingen zuwenden, von denen bekannt ist, dass sie das persönliche Wohlbefinden fördern, darunter Meditation und Bewegung, aber natürlich auch Ernährung und Sport und andere grundlegende Dinge, die aufgrund einer Traumatisierung gern ins Hintertreffen geraten.“

Bewusstsein gepaart mit Mitgefühl für die eigene Situation

Bethell betont: „Bewusstsein ist der erste Schritt – Bewusstsein gepaart mit Mitgefühl und dem Akzeptieren der eigenen Situation.“ Als Traumatisierte müssen wir wieder lernen, uns selbst, unsere Gefühle, unseren Körper, unsere Bedürfnisse, unsere Wünsche, unsere Liebe zu spüren. Dass wir all das so lange vermieden haben, war eine sinnvolle, womöglich überlebensnotwendige Schutzreaktion. Die wir nun freilich überwinden müssen, um wieder positive und heilsame Beziehungen eingehen zu können.

Die Familienvergangenheit annehmen

Danach geht es ans Erkunden der Familiengeschichte. Die Therapeutin Bettina Alberti sagt: „Die kriegsbelastete Bindung zu den Eltern zu verstehen und zu bewältigen, ist für die Kriegsenkel eine wichtige Entwicklungsaufgabe. Es ist nicht einfach, die Familienvergangenheit mit ihren traumatischen Belastungen für die eigene Biografie anzunehmen. Dies ist aber die Voraussetzung dafür, die daraus entstandenen psychischen Symptome wie Ängste, Depressionen und Selbstwertprobleme zu lösen.“

Frage: „Lebe ich wirklich mein Leben?“

Dann stellt sich die Frage: Wo, wie und wann lebe ich gar nicht mein Leben, sondern das meiner Eltern oder Großeltern? Wir können nur ändern, wovon wir wissen – das ist eine Grundregel in Therapie und Coaching. Deswegen: Anschauen: was hat es mit mir gemacht – und was möchte ich jetzt daran ändern?

Autobiografisches Schreiben aktiviert Selbstheilungskräfte

Gerade hierfür kann ich Autobiografisches Schreiben empfehlen. Das Schreiben macht uns bewusst, wie viel Eigenes wir auch schon erreicht haben, und aktiviert ganz nebenbei die Selbstheilungskräfte. (Dazu habe ich einen Blogbeitrag geschrieben).

Die Problemorientierung aufgeben

So können wir einen Blick für das Positive entwickeln. Viele Kriegsenkel haben eine ziemlich stabile Orientierung auf Probleme. Dabei gibt es auch viel Gutes, das man über diese Generation sagen kann: Sie ist empathisch, übernimmt Verantwortung, engagiert sich für andere. Es gehört zu den Highlights in Kriegsenkel-Seminaren, wenn wir uns diesen Ressourcen zuwenden und auf einmal merken: Hey, wir sind eigentlich viel cooler, als wir bisher gedacht hatten.

Bindung – ein entscheidender Faktor

Zur Unterbrechung von generationenübergreifenden Mustern sind oft andere Personen wichtig – Menschen, die nicht in das Familiensystem eingebunden sind: andere Bezugspersonen, Therapeut:innen, Menschen aus Schwiegerfamilien. Die Traumatherapeutin Dami Charf betont die grundlegende Bedeutung der persönlichen Verbundenheit: „Bindung (…) lernt man nur durch Bindung. Man kann es sich leider nicht anlesen. Ich brauche ein Gegenüber, dass in der Lage ist, mit mir in Beziehung zu gehen.“

Gemeinsam den Weg der Heilung beginnen

Und: Wir sollten uns unterstützen lassen. Viele Kriegskinder waren und sind voller Misstrauen, lehnen so etwas wie Therapie oder Coaching ab – man muss Dinge mit sich alleine ausmachen, so ihr Glaubenssatz. Aus ihrer frühen Erfahrung hat das Sinn gemacht – für uns heute ist das nicht sinnvoll. Es ist immer wieder eine sehr schöne Erfahrung, wie etwa in einem Kriegsenkel-Seminar sofort eine vertraute Atmosphäre entsteht. Wie wir gegenüber Menschen, die wir gerade kennengelernt haben, Dinge aussprechen, die wir in der Familie nicht erzählen würden.

Die Angst, das könnte peinlich sein, erledigt sich innerhalb ganz kurzer Zeit. Ich habe das oft erlebt – und es ist sehr, sehr heilsam!

 

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