Das Leiden unter narzisstischen Eltern

Der Narzissmus, den wir in der Kindheit erlitten haben, kann heute noch unsere Beziehungen prägen. Aber es gibt Auswege.
narzisstische Eltern

Der Narzissmus, den wir in der Kindheit erlitten haben, kann noch heute unsere Beziehungen prägen. Aber es gibt Auswege.

Eine Abrechnung mit Narzissten

„Ich war ein sehr anhängliches Kind. Ich habe immer versucht, von meinen Eltern, vor allem von meiner Mutter, Aufmerksamkeit zu bekommen. Aber wenn ich meine Eltern gebraucht hätte, waren sie nicht da. Die Botschaft war immer dieselbe: du bist falsch, du bist anstrengend, du kostest zu viel Geld. Und jetzt soll ich sie ehren, vielleicht sogar lieben? Sie erwarten das. Vor allem meine Mutter. Sie meint, ihre Kinder müssten sie schon deswegen lieben, weil sie unsere Mutter ist. Gar nichts muss ich! Was haben meine Eltern für mich getan, außer mich auf die Welt zu bringen? Ich dagegen habe ihren Betrieb gerettet, sie aus ihrer Überforderung und von ihren Schulden befreit. Sie haben sich dafür nie bedankt, nie Wertschätzung oder Anerkennung gezeigt. Und jetzt soll ich meine Eltern auch noch ehren?“

Jahrzehntelange Missachtung prägt die Beziehung

Die Abrechnung einer Kriegsenkelin mit ihren Eltern. Leider eine typische Geschichte, auch wenn nicht viele Töchter sich trauen, ihre Wut und Bitterkeit so schonungslos auszudrücken. Jahrzehntelange Missachtung prägt die Haltung der Eltern zu den Kindern. Die sich umso mehr anstrengen, um endlich gesehen zu werden. Vergeblich, denn das, was dem einseitigen Verhältnis zugrunde liegt, ist eine Persönlichkeitsstörung: Narzissmus.

Jeder von uns hat narzisstische Anteile

Narzisstische Anteile hat jeder von uns. Klar, wir alle wollen gelobt und geliebt werden, fühlen uns besser, wenn wir Wertschätzung und Anerkennung erleben. Die Grenze zum Narzissmus ist erreicht, wenn einer die Abwertung anderer braucht, um sich selbst gut und wertvoll zu fühlen. Wenn er so sehr auf die eigenen Bedürfnisse fixiert ist, dass die der anderen komplett unwichtig werden. Das schafft im Zusammenleben und in der Zusammenarbeit unerträgliche Spannungen.

Was Narzissten ausmacht

Narzissmus ist das Phänomen unserer Zeit. Die großartige Inszenierung des Egos gehört heute fast schon zum guten Ton, und social media hat sie einem neuen Höhepunkt zugetrieben. Auch dank der Präsidentschaft von Donald Trump und ihrer Analyse durch Psychologen kennen wir viele der Merkmale, die einen Narzissten, eine Narzisstin ausmachen:

  • Sie werten andere ab und ertragen nicht die leiseste Kritik.
  • Sie sind unempathisch.
  • Sie interessieren sich ausschließlich für sich selbst. Die Bedürfnisse anderer sind für sie irrelevant.
  • Sie sind nicht in der Lage, ihr eigenes Verhalten kritisch zu hinterfragen.
  • Sie fordern Unterordnung und können keine Beziehung auf Augenhöhe führen.
  • Ihre Haltung ist: „Ich brauche dich, damit es mir gut geht. Und deshalb muss du so sein, wie ich dich haben will.“
  • Man kann ihnen nichts recht machen.
  • Wenn sie sich doch für andere interessieren, dann um für dieses Interesse ausufernde Dankbarkeit zu bekommen.
  • Sie können aus dem Nichts eine Beziehung beenden, einen Kontakt abbrechen, wenn er ihnen nicht mehr dient.

Narzisstische Strukturen im Elternhaus

Was wir beim Blick auf Autokraten, Populisten oder exzentrische Showstars leicht übersehen: Narzisstische Strukturen kennen viele von uns aus einer Zeit, als noch niemand von diesem Phänomen sprach – aus unserer Kindheit. In vielen Kriegsenkel-Seminaren sind es immer wieder diese traurigen Geschichten von Desinteresse der Eltern, von Abwertung, mangelnder Unterstützung. Das Leben in einer narzisstisch geprägten Familie kann Schneisen der Verwüstung in Kinderseelen hinterlassen.

Eltern wiederholen, was sie als Kinder erlitten

Wie wird man das eigentlich: Narzisst? Es ist eine traurige Geschichte. Schon die frühe Kindheit prägt die tiefe Kränkung, dass die Eltern einen nicht so annehmen, wie man auf die Welt gekommen ist. Das Kind erlebt, dass es so, wie es ist, falsch ist und nicht geliebt wird. So ist es vielen Kindern der Jahrgänge 1930 bis 1945 gegangen. Sie wurden von ihren Eltern häufig nicht wahr- und angenommen, erlebten, wie ihre Bedürfnisse ignoriert oder gar mit Gewalt unterdrückt wurden. Das verdient unser Mitgefühl. Aber unter diesen Bedingungen kann sich eben auch eine narzisstische Persönlichkeitsstörung entwickeln. Und das charakteristische Verhalten soll überdecken, dass man sich im tiefsten Innern eigentlich wertlos fühlt.

Der unstillbare Wunsch nach Gesehenwerden

Fortan kümmerten sich viele Kriegskinder vor allem darum, endlich Aufmerksamkeit zu bekommen – in dramatischen Auftritten, cholerisch oder fordernd. Auch in jammervollem Leid konnte – und kann – das münden. Aus der tiefen Kränkung entsteht der unstillbare Wunsch nach Gesehenwerden.

Der Psychoanalytiker Werner Bohleber beschreibt diese Art der Bindung, die zwischen Eltern und Kindern entsteht, als narzisstisch: „weil es nicht allein und häufig auch nicht in erster Linie um das Wachsen und die eigenständige Persönlichkeits- und Identitätsbildung der Kinder ging, sondern darum, für die seelisch unverarbeitete Geschichte der Elterngeneration zu funktionalisieren.“ Auf diese Weise wurden, wie er formuliert, „die Nachkommen zum Container für das unverarbeitete Leid und die Traumatisierungen, für abgewiesene Schuld und Verantwortung ihrer Eltern sowie für nicht aufgegebene Bestandteile der NS-Ideologie.“

Narzissmus mündet in Parentifizierung

Professorin Angela Moré, Spezialistin für transgenerationale Weitergabe von Traumata, beschreibt die Folgen: „Immer wieder kommt es bei Nachkommen von traumatisierten Eltern zu einer parentifizierten Rollenübernahme: Die Kinder spüren die Verletztheit und Bedürftigkeit der eigenen Eltern und stellen sich ihnen als fürsorgende Objekte zur Verfügung, um sich einen emotionalen Zugang zu diesen häufig depressiven und narzisstisch zurückgezogenen Eltern zu bewahren.“

Das Selbstwertgefühl der Kinder leidet massiv

So entsteht eine seelische Verletzung mit Langzeitfolgen. In ihrem Buch „Wenn Mütter nicht lieben“ schreibt die Therapeutin Susan Forward: „Aus einem kleinen Mädchen, das von einer lieblosen Mutter kritisiert, ignoriert, misshandelt und unterdrückt wurde, wird eine Frau, die sich einredet, sie sei nie gut oder liebenswert genug, nie so klug, so hübsch oder so akzeptabel, dass sie Erfolg und Glück verdient hätte. ‚Wenn du Respekt und Zuneigung wirklich verdient hättest‘, flüstert eine innere Stimme, ‚hätte deine Mutter dir diese Dinge gegeben.'“

Toxische Beziehungen mit Narzissten

Das Problem beschränkt sich nicht nur auf die Zeit im Elternhaus. Es prägt unsere Vorstellungen von Beziehungen. So gehen Menschen, die aus einer narzisstisch geprägten Familie kommen, häufig Beziehungen mit Narzissten oder Narzisstinnen ein. Die Muster sind ihnen vertraut. Und so kommen sie von einer toxischen Beziehung in die nächste. Diese Beziehungen charakterisieren sich meist durch Dominanz, Egoismus, und Unterdrückung auf der einen Seite und Abhängigkeit und Selbstaufopferung auf der anderen Seite.

Narzissten – die Meister des ersten Eindrucks

Das liegt auch daran, dass gerade Narzissten Meister des ersten Eindrucks sind. Sie verstehen es, uns für einen Moment genau das zu geben, was wir bewundern: Attraktivität, Coolness, Charme, Humor, sowie leichte Allüren, die suggerieren, diese Aufmerksamkeit auch zu verdienen. Sie knüpfen schneller Kontakte und werden populär. Als Resultat landen sie nicht selten in Chefetagen. Studien zeigen, dass gerade Narzissten es verstehen, andere Menschen genau dort zu treffen, wo ihre Sehnsucht steckt: endlich gesehen zu werden. Aber diese Aufmerksamkeit hält nur so lange, bis eine Bindung hergestellt ist. Von da an erwarten sie Unterordnung und Hingabe.

Abgrenzung – eine schwere Übung

Sich dagegen abzugrenzen, ist eine große Herausforderung. Da ist ja immer noch Liebe zu den Eltern, zum Partner oder der Partnerin. Und es mag gute Momente geben, in denen der Kontakt besser gelingt, tatsächlich so etwas wie Nähe und Wertschätzung spürbar wird. Die negativen Seiten des Narzissmus können phasenweise schwächer ausgeprägt sein, was sich wie die ersehnte Wende anfühlt. In Konflikt- oder Belastungssituationen aber schlagen sie dann umso heftiger durch. Besonders belastend ist das für Kinder hinfälliger oder pflegebedürftiger Eltern. Sie fühlen sich in der Verpflichtung zu helfen und erleben keine Dankbarkeit, keine Anerkennung, häufig permanente Abwertung. Ich kenne aus meiner Praxis erschütternde Beispiele.

Der Weg zur Heilung: nicht selten Abschied

Wie können wir uns lösen? Es kann ein mühsamer Weg sein. Er beginnt damit, die Mechanismen zu verstehen. Dann müssen wir Stück für Stück unser Selbstwertgefühl aufbauen, unsere eigenen Bedürfnisse wahrnehmen und wertschätzen, nach ihnen handeln und so langsam ein immer klareres Verständnis dafür bekommen, wie wir leben wollen und können. Das ist nicht selten mit Abschieden verbunden – mit dem Abbruch des Kontakts. Psychologen haben beobachtet, dass dieser Kontaktabbruch bei älteren Narzissten ein Innehalten auslösen kann, ein Bemühen um einen Neubeginn. Aber darauf gibt es keine Garantie.

Was auf keinen Fall funktioniert: einen Narzissten zu erziehen. Wer das versucht, beginnt einen Kampf, der nicht zu gewinnen ist.

Foto: iStock

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