Warum ein offenes Herz und offene Fragen mehr helfen als gute Ratschläge. Ein Gespräch mit dem Hamburger Coach und Autor Sven Rohde. Von Lothar Bauerochse
Herr Rohde, ein guter Rat für einen guten Freund oder für die gute Freundin – ist das eigentlich hilfreich?
Sven Rohde: Wenn Ihre Freundin oder Ihr Freund ausdrücklich darum gebeten haben – also etwa so: »Kannst du mir einen Rat geben?«, wenn Sie dann etwas Hilfreiches sagen können – sagen Sie es. Ich denke, in den allermeisten Fällen möchte Ihr Freund oder Ihre Freundin das gar nicht haben. Menschen wünschen sich viel seltener Ratschläge, als wir glauben. Meistens wünschen sie sich Anteilnahme oder Mitgefühl, die Möglichkeit ihr Herz auszuschütten, sich emotional irgendwie zu entlasten. Vielleicht brauchen Sie auch einen Sparringspartner. Sie haben ein Problem und dann sind Sie da und könnten dabei helfen, dieses Problem irgendwie zu klären – die eigene Haltung zu klären. Wenn Sie einen Rat geben, blockieren Sie das. Sie unterstützen nicht, sondern Sie unterbrechen diesen Prozess, in dem ich selbst auf die Idee kommen könnte: »Ah, so könnte ich es machen.« Wenn Sie den Rat gegeben haben, dann ist das Thema an dem Punkt eigentlich beendet. Und wenn mir das mit einem Freund oder einer Freundin passiert, bin ich frustriert.
Woher kommt das eigentlich, dass wir immer so schnell mit guten Ratschlägen so zur Stelle sind?
Sven Rohde: Das unterstützt unser Selbstbewusstsein. Da ist jemand, der irgendetwas nicht weiß und ich weiß es und ich sage es. Und dann geht es mir gut. Nur ist es leider so, dass wir uns meistens ziemlich überschätzen. Es gibt Studien dazu, dass 70 Prozent aller Leute glauben, dass sie viel schlauer sind als der Durchschnitt und das kann ja schon statistisch nicht funktionieren. Und wenn wir einen Rat geben, dann unterstützen wir dieses Gefühl. Da ist jemand, der weiß irgendetwas nicht und ich weiß das und dann muss ich das natürlich sagen.
Manchmal ist das gar nicht so leicht auszuhalten. Man glaubt eine Lösung für ein Problem zu haben und soll dann schweigen?
Sven Rohde: Naja, wer sagt denn immer, dass es leicht ist, ein guter Freund oder eine gute Freundin zu sein? Dann halten Sie das doch einfach mal aus. Und wenn es Ihnen zu schwer fällt, können Sie ja immer noch fragen: »Möchtest du einen Rat?« Wenn allerdings die Antwort Nein lautet, finde ich, sollten Sie den Mund halten.
Also sollte ich dann tatsächlich meine Idee für mich behalten?
Sven Rohde: Ja, stellen Sie lieber Fragen. Wir halten uns ja für superschlau. Aber in der Regel sind unsere Ideen nicht so originell. Das heißt, es könnte sein, dass Ihre Freundin oder Ihr Freund auch selbst schon darauf gekommen ist. Dann fühlt die sich natürlich doof oder da kommt vielleicht das Gefühl auf: »Hältst du mich eigentlich für blöd? Da bin ich ja selber schon draufgekommen.« Wenn Sie Fragen stellen, dann können Sie, glaube ich, das viel interessantere Gespräch führen. Dann erforschen Sie gemeinsam das Problem und kommen vielleicht auf eine tiefere Ebene. Und das hilft dann tatsächlich bei der Klärung. Und dann gucken Sie hinterher nicht in so ein leeres Gesicht, sondern in eins, das irgendwie erfüllt und gut gelaunt ist. Ich glaube, das ist tatsächlich die interessantere Sache.
Sie sind Coach – also professioneller Ratgeber. Leben wir in einer Zeit, in der Menschen verstärkt nach Rat suchen?
Sven Rohde: Ich bin kein professioneller Ratgeber. Ich gebe tatsächlich selten Rat. Viel, viel häufiger stelle ich Fragen. Und dann höre ich sehr aufmerksam zu. Es ist, glaube ich so, dass die meisten Menschen tatsächlich die Lösung, die sie für ihre Probleme haben, selbst auch kennen. Und ich führe sie eigentlich eher an den Punkt, dass sie zu diesen Lösungen kommen, die in ihnen verborgen sind, also dass sie quasi freigebuddelt werden – und dass sie sich dann trauen, zu diesen Lösungen zu stehen. Dabei unterstütze ich. Manchmal informiere ich auch – also über psychologische Zusammenhänge oder über das Thema, das wir gerade im Coaching haben. Natürlich braucht es immer mal eine Information, aber in der Regel keinen Rat.
Haben Sie den Eindruck, dass insgesamt eine Unsicherheit wächst und in den schwierigen modernen Zeiten mehr Menschen das Gefühl haben »Ich brauche Beratung.«
Sven Rohde: Ich glaube, sie brauchen tatsächlich meistens keine Beratung. Die Welt ist unglaublich komplex, verwirrend und auch immer mal bedrohlich. Gerade jetzt erleben wir das. Aber ich habe die Erfahrung gemacht, dass wir eigentlich nur selten Beratung brauchen. Wir brauchen gute und relevante Informationen. Und dann braucht es manchmal jemanden, der die Verbindung zwischen meinen Bedürfnissen und dieser Information herstellt. Das würde ich allerdings nicht Beratung nennen. Was wir – finde ich – viel dringender brauchen als Beratung, sind ein offenes Ohr und ein offenes Herz. Das fehlt sehr vielen Menschen.
Mit welchen Fragen kommt man denn wirklich miteinander gut ins Gespräch?
Sven Rohde: »Wie geht es dir?« – ganz einfach. »Was bedrängt dich an diesem Problem? Was hast du schon versucht, um dieses Problem zu lösen?« Sowas. Aber wir reden viel zu häufig über Sachthemen und wir reden viel zu selten über Gefühle. Und wenn wir uns gemeinsam einem Gefühl öffnen, dann entsteht eine andere Ebene im Gespräch. Das empfinde ich als ganz wichtig. Das ist dann keine Frage, sondern eher: »Ich verstehe, dass es dir nicht gut geht.« So ein Mitgefühl – Anteilnahme. Das ist interessant. Das erlebe ich häufiger in Gesprächen, wenn ich sage: »Wow, das tut mir echt leid, wie es Ihnen geht.« Dann sagt der eine: »Das hat mir noch keiner gesagt.« Und das macht mich dann ehrlich gestanden auch immer mal traurig, dass noch keiner auf die Idee gekommen ist, jemandem zu sagen: »Das tut mir leid, wie es dir geht.«
Offenes Herz, zuhören, offene Fragen. Wenn wir nochmal die Situation umdrehen – wenn ich jetzt doch auf jemanden treffe, der lauter gute Ratschläge für mich hat, wie kann ich denn damit umgehen?
Sven Rohde: Oh, das ist eine wunderbare Lernaufgabe. Lernen Sie sich abzugrenzen gegen dieses übergriffige Verhalten. Machen Sie einfach deutlich: »Ich will das nicht. Bitte halt mich nicht für doof. Auf die Idee, die du mir da erzählst, bin ich auch schon gekommen. Und wenn du jetzt auch noch damit kommst als super-schlauer, dann fühle ich mich noch mieser, als es mir ohnehin geht. Lass das, bitte.« Sagen Sie, was Sie sich stattdessen wünschen: Interesse, Anteilnahme, Mitgefühl. Eben das, was ich eben meinte: ein offenes Ohr und ein offenes Herz. Und dann hoffe ich, dass Ihr Freund oder Ihre Freundin darauf eingeht. Wenn das nicht passiert, wenn die weiter in diesem übergriffigen Verhalten bleibt, dann ist es vielleicht auch der richtige Zeitpunkt, diesen Kontakt zu beenden. Wäre aber vielleicht schade.
Lothar Bauerochse, Redakteur für Kirche und Religion im Hessischen Rundfunk, hat dieses Interview mit mir geführt und mir die Abschrift freundlicher Weise überlassen. Herzlichen Dank dafür!