Debatte im „Freitag“ über Kriegsenkel
Macht der Wunsch nach Entlastung, mit dem Kriegsenkel in Therapien und Seminare kommen, unpolitisch und geschichtsvergessen?
Anlässlich des Kriegsendes und der Befreiung von der Nazi-Diktatur am 8. Mai 2020 vor 75 Jahren schrieb die Autorin Alexandra Senfft in der Wochenzeitung Freitag über „falsche Mythen“. Mit scharfem Blick legt sie die Mechanismen deutscher Selbstentlastung von der Verantwortung für die Nazi-Gewaltherrschaft offen. Und sieht das Verhalten der Kinder der Kriegskinder in einer verhängnisvollen Tradition.
Alexandra Senfft schreibt: „Bei manchen ‚Kriegsenkeln‘ ist derweil eine Neuauflage der Haltung ihrer Großeltern zu beobachten. Viele empfinden sich wie diese als Opfer der NS-Zeit. Sie suchen Heilung in Therapien und Workshops, sie adressieren die psychischen Belastungen einer oft kontaktlosen Erziehung, der Depressionen und Aggressionen in ihren Familien. Die Diagnose Trauma wird fast inflationär, willkürlich gefällt: Wir Deutschen, eine Bevölkerung von Traumatisierten. Es entsteht eine Opferkonkurrenz, und die eigentlich Traumatisierten, die Überlebenden und ihre Nachkommen, werden übergangen. Es ist notwendig, sich auch mit den Verletzungen zu beschäftigen, die die Nazis ihren Nachkommen zugefügt haben. Doch sobald die Täterschaft der eigenen Angehörigen aus dem Blick gerät, verliert die Aufarbeitung ihr Gleichgewicht. Eine Beschäftigung mit dem Selbst, bei der das Emotionale sich nicht mit historischen Fakten und politischen Implikationen verbindet und die Verantwortlichkeiten ausblendet, leistet der Entpolitisierung Vorschub. Das erzeugt nolens volens Geschichtsvergessenheit. Das Ziel der Suche darf nicht Entlastung und Erlösung sein. Wir sollten dem Entsetzen (…) standhalten.“
„Der innere Frieden“ — die Antwort im PDF
Aus meiner Erfahrung in vielen Kriegsenkel-Seminaren sehe ich das entschieden anders. Deswegen habe ich für den Freitag eine Antwort geschrieben, die am 20. Mai 2020 erschienen ist. Hier finden Sie das PDF.
An einer Diskussion kann ich mich nicht beteiligen. Dazu ist das Thema viel zu empfindsam. Ich kann nur sagen, dass ich erst durch meine Sehnsucht nach einem Opa angefangen habe, mich zu trauen nachzuforschen, was er im Krieg getan hat. Dass er Generalmajor war, wusste ich und lehnte ich total ab. Die Suche war meine Hölle. Nie habe ich vorher Kriegsfilme angeschaut. Natürlich auch Dokumentationen. Mindestens zwei am Tag.
Aber der absolute Horror war dann eine Art Beschreibung der Militärkarriere meines Großvaters. Jetzt konnte ich langsam, voller Entsetzen begreifen, wo er überall war und was er dort getan hat. Wieviele Menschen er auf seinem Gewissen hat. Gemeinschaftlich. Ein hohes Tier.
Und das ist mein Vorfahre. Der Vater meiner Mutter. Sie hat ihn geliebt.
Ich habe soviel über die Geschichte des 1&2. Weltkrieges gelernt und die Zusammenhänge umzu.
Das sind alles Fakten.
Und klar, die Gefühle, die ich seitdem habe,wäre ich liebend gerne wieder los…
Ich würde überhaupt gerne wissen, wie ich mit dieser Last, im Verhältnis zu meinen Mitmenschen „normal“ weiterleben soll. Wer bin ich. Was ist mit Schuld. Was macht das mit mir. Tiefste Erschütterung
Es wäre mal gut mit jemandem sprechen zu können, der auch so einen hohen Soldaten in seiner Familie hat.
Aber diskutieren kann ich darüber nicht.
Liebe Renate Rindsberg,
die KZ-Gedenkstätte Neuengamme bietet regelmäßig Gesprächsseminare zur NS-Täterschaft in der eigenen Familie an: „Ein*e Täter*in in der Familie? Gesprächsseminar zu Familiengeschichte und Familiengeschichten“
https://www.kz-gedenkstaette-neuengamme.de/veranstaltungskalender/calendar/2020/09/
Vielleicht wäre das eine Möglichkeit ins Gespräch zu kommen.
Mit herzlichen Grüßen
Claudia Möller