Die Glaubenssätze der Kriegsenkel bergen das Drama einer ganzen Generation. In meinen Seminaren können wir ihnen auf die Spur kommen und ihre Macht brechen.
„Kindheit war schon immer ein gefährlicher Ort, selten verlässt ihn jemand unbeschadet.“
(Katharina Ohana, „Ich, Rabentochter“)
Begeben wir uns auf eine Expedition in unsere Kindheit. Eine emotionale Kluft ist damals entstanden: Die Eltern und Großeltern haben den Krieg und die Nachkriegszeit erlitten – wir Kriegsenkel, zwischen 1955 und 1980 geboren, nicht. Die Vorfahren wurden davon geprägt und reichten diese Prägungen an uns weiter. In den Glaubenssätzen, die unsere Erziehung begleiteten, liegt das ganze Drama einer Generation geborgen, die damit für ihr Leben im Frieden belastet wurde.
Glaubenssätze – eine kleine Auswahl
„Man muss mit dem Schlimmsten rechnen, dann kann es nur besser werden.“
„Du weißt gar nicht, wie gut du es hast!“
„Geh’ lieber auf Nummer sicher!“
„Stell dich nicht so an!“
„Das bildest du dir alles nur ein.“
„Immer lächeln, aber wie’s drinnen aussieht, geht niemanden etwas an.“
„Sei bescheiden.“
„Pass dich an und fall nicht auf.“
„Nur wenn du etwas leistest, bist du etwas wert.“
„Arbeit, die Spaß macht, ist keine richtige Arbeit.“
Kriegsenkel: Mit dem falschen Gepäck auf Lebensreise
Mit diesen Glaubenssätzen – die meisten davon längst im Unbewussten versunken – im Leben unterwegs zu sein, ist wahrlich nicht immer hilfreich. Die Therapeutin Sandra Konrad vergleicht das, was wir mit uns als Familienerbe herumtragen, mit falschem Gepäck: als wären wir im Abendkleid auf Segeltour über den Atlantik oder mit Malariaprophylaxe in den Alpen unterwegs. Und so merken wir immer wieder, wie sich die Glaubenssätze dysfunktional auswirken, wie sie uns bremsen und behindern, uns wie „mit angezogener Handbremse unterwegs“ sein lassen, wie die Autorin Sabine Bode es mal genannt hat.
Ein Musterbeispiel (das ich Ingrid Meyer-Legrand und ihrem Buch „Die Kraft der Kriegsenkel“ verdanke) ist der Glaubenssatz „In der ersten Reihe wird man erschossen.“ Es steht außer Frage, dass dieser Satz im Krieg das Überleben sichern kann. Aber wie soll jemand, der vom Vater oder Großvater diesen Satz als Leitlinie mitbekam, je sein Potenzial als Führungskraft ausschöpfen? Als talentierte Sängerin sich in Rampenlicht der Öffentlichkeit trauen? Sich selbstständig machen und ein eigenes Unternehmen gründen? So entfalten überlebte Weisheiten der Älteren auch viele Jahrzehnte nach Kriegsende noch ihre begrenzende, ja, zerstörerische Wirkung.
Die Glaubenssätze des Familiensystems behindern immer noch
Bekamen wir einst eingetrichtert, dass Krankheit einfach nur ein Symptom von Faulheit sei, werden wir heute kaum zu einer angemessenen Selbstfürsorge kommen. Wurde uns einst vermittelt, wir sollten uns gefälligst nicht so wichtig nehmen, ist es nicht allzu verblüffend, wenn wir immer noch unsere Bedürfnisse hintanstellen.
Es sind diese unbewussten Mechanismen, die in uns weiterwirken. Viele von uns litten als Kinder unter der Begrenzung ihrer Vitalität. Wir erlebten eine aggressive Aufladung der Eltern, wenn unsere kindliche Lebendigkeit sich laut und ungestüm zeigte. Sie triggerte die Angst der Eltern, unangenehm aufzufallen, die sich während der Nazizeit und im Krieg tief eingegraben hatte. Die Begrenzung war für uns als Kinder freilich nicht einzuordnen, wir verstanden nicht, warum wir leise, unauffällig, angepasst handeln sollten. Aber wir gehorchten, meistens. Taten wir es nicht, wurden wir gemaßregelt: „Wie du wieder rumläufst! Was tust du uns an! Must du uns immer Schande machen?“ In solchen Sätzen ist die Verzweiflung der Älteren spürbar, die sich schützen wollten vor den strafenden Blicken der Nachbarn, der Lehrer, der Gesellschaft.
Kriegsenkel-Seminare geben neue Antworten
Eine Mischung aus Belustigung, Trauer und Wut wird in den Kriegsenkel-Seminaren spürbar, wenn die Gruppe sich mit diesen Sätzen befasst. Lebendig ist die Runde, immer wieder erklingt ein, „oh, das kenne ich auch!“ Wir spüren, wie sehr uns dieses Gepäck, das uns die Eltern aufgebürdet haben, den Weg durchs Leben schwer gemacht hat. Aber irgendwie ist es trotzdem fast komisch, dieselben Sprüche aus dem Mund von Menschen zu hören, die wir erst an diesem Morgen kennengelernt haben. Gerade wenn es bedrängend wird, hilft es, gemeinsam zu lachen.
Und es gibt auch die positive Seite der Glaubenssätze: Erfahrungen aus unserer Kindheit, die nicht behindern, sondern eine wertvolle Hilfe sind. Diese etwa: „Ich kann durchhalten.“ Oder: „Ich kann mit wenig sehr zufrieden sein.“ Oder: „Ich kann Verantwortung übernehmen. Das habe ich früh gelernt.“ Eine schöne, eine wichtige Erkenntnis, ein Glaubenssatz, der eine wertvolle Ressource bedeutet. Und eine Möglichkeit, sich auch liebevoll mit den Vorfahren zu verbinden.
Wie sagte einst Paul Watzlawick: „Erwachsensein bedeutet, das Richtige zu tun, selbst wenn es die Eltern empfohlen haben.“