Narzissmus und Trauma – ein Familienerbe?

Narzissmus hat traumatisches Potenzial, ist Ursache von Eifersucht, Hass und Streit und kann Partnerschaften und Familien zerstören.
Narzissmus und Trauma

Narzissmus in Familien hat viele Gesichter. Etwa dieses: „Mein Vater hat mich immer nur abgewertet, mir gesagt, ich sei dumm, unfähig, eine Schande für die Familie. Aber wehe, irgendjemand sagt zu ihm nur das leiseste Wort der Kritik – dann rastet er komplett aus.“

Oder dieses: „Meine Mutter sieht sich immer als Opfer. Sie ist emotional auf dem Stand einer Vierjährigen. Sie stampft mit dem Fuß auf, wenn etwas nicht so läuft, wie sie es will, und sie meint, wir Kinder müssten sie schon deswegen lieben, weil sie unsere Mutter ist.“

Oder dieses: „Mein Vater meint, ich sollte dankbar sein, dass ich seinen Betrieb übernehmen konnte. Dass ich seine alten Schulden mit meinem Geld beglichen habe, ignoriert er. Vielleicht kann er so besser mit seinem Scheitern als Geschäftsmann umgehen.“

Es sind traurige Geschichten von Verlorenheit und Schmerz, Scham und Verletzung, Kummer und Verzweiflung. Sie werden im Coaching und in Seminaren erzählt. Und je länger wir zuhören und uns einfühlen, umso intensiver empfinden wir: Das Verhalten derjenigen, die da abwerten, pöbeln, sich als Opfer oder Wohltäter inszenieren, hat das Potenzial, andere nachhaltig zu beschädigen. Wir verstehen: Narzissmus und Trauma sind eng miteinander verbunden.

An Narzissmus zerbrechen Ehen und Familien

Dabei müssen wir zwischen positivem und negativem Narzissmus unterscheiden, wie es auch der Psychiater Reinhard Haller in seinem Buch „Die Narzissmus-Falle“ tut: „In seiner positiven Form ist Narzissmus Motor unserer Leistungsfähigkeit und des Fortschritts, er fördert Kreativität und steigert unsere Kraft, er beflügelt uns im Wettbewerb. In seinen negativen Auswirkungen ist er Ursache von Kränkung, Eifersucht, Hass, Streit, Verbrechen und Krieg. Am Narzissmus scheitern Partnerschaften und Freundschaften, zerbrechen Ehen und Familien, entzünden sich Auseinandersetzungen und Konflikte, er schafft Feindschaften für alle Zeiten.“ Dann sprechen wir von einer narzisstischen Persönlichkeitsstörung.

Bei Narzissten gibt es Liebe nur gegen Leistung

Menschen, die in einer narzisstisch geprägten Familie aufwuchsen, werden von Mutter oder Vater als Verlängerung ihres Selbst empfunden und behandelt. Sie werden nicht geliebt für das, was sie sind, sondern dafür, was sie zu sein haben. Nur für diese Funktion bekommen sie Liebe und Aufmerksamkeit, nicht für ihr Wesen, ihr Selbst. Laurence Heller, der Begründer der Therapiemethode NARM („Neuro Affective Relational Model“), hat dafür ein treffendes Bild entwickelt: Es ist, als sage die Mutter zu ihrem Baby: „Wenn du dich maximal um meine Bedürfnisse kümmerst, wenn du genau das tust, was ich von dir erwarte, wenn du erreichst, was ich immer erreichen wollte: Dann – und nur dann! – werde ich dich als mein Kind anerkennen, dich vielleicht sogar lieben.“

Narzissmus begünstigt Entwicklungstraumata

Unter diesen Bedingungen entsteht das, was wir ein Entwicklungstrauma nennen. Es trägt eine tiefe Unsicherheit ins Leben, macht anfällig für Ängste und Selbstzweifel, erschwert die Entwicklung einer eigenen Identität und eines stabilen Selbstwertgefühls. Es zeigt sich häufig in Tendenzen zur Selbstentwertung. Das Trauma untergräbt die psychische Gesundheit und Beziehungsfähigkeit und erhöht das Risiko weiterer psychischer und körperlicher Begleiterkrankungen und Störungen, auch in späteren Jahren.

Narzisstische Inanspruchnahme von Kindern

Werden Kinder benutzt, um den Selbstwert der Eltern zu stützen, sprechen wir von einer narzisstischen Inanspruchnahme der Kinder. Sie soll kompensieren, was Mutter oder Vater als eigenen Mangel empfinden. So berichtete eine Seminarteilnehmerin davon, wie ihr Vater selbst ihre guten Noten in der Schule für sich beanspruchte: „Nur, weil ich dich so zum Üben gedrängt habe, hast du eine Eins geschrieben! Alleine bekommst du doch überhaupt nichts gebacken!“

Wobei auch Wohlverhalten in der Regel keine Anerkennung nach sich zieht. „Es war ganz egal, wie sehr ich mich angestrengt habe, es meinem Vater recht zu machen, alles, aber auch wirklich alles zu tun, damit er zufrieden ist“, berichtete eine Klientin – „er hat immer einen Grund für seine ätzende Kritik gefunden.“

Grandios-malign oder vulnerabel-fragil?

Wissenschaftler unterscheiden verschiedene Arten von Narzissmus. Die auffälligere, eher bei Männern zu finden, ist die grandios-maligne Ausprägung. Diese Menschen halten sich für übermächtig und zu großen Taten berufen. Wird ihre übersteigerte Selbstwahrnehmung gestört, ihre behauptete Großartigkeit von anderen zum Beispiel nicht anerkannt, reagieren sie oft mit Wut und Gewalt.

Die vulnerabel-fragile Form des Narzissmus wirkt dagegen gleichsam maskiert: Kritik und Misserfolge nehmen Menschen mit dieser Ausprägung der Persönlichkeitsstörung sehr persönlich und reagieren darauf mit einem Übermaß an Scham und Ängstlichkeit. „Um Situationen zu vermeiden, in denen ihr Selbstwert infrage gestellt wird, geben sie sich betont bescheiden, selbstkritisch oder gehen sozialen Interaktionen aus dem Weg. Ihren größenwahnsinnigen Fantasien geben sie sich im Verborgenen hin“ (zitiert nach einem Text der Oberberg-Kliniken).

Keine Empathie, übersteigerte Empfindlichkeit

Gemeinsam sind beiden Ausprägungen diese vier Kennzeichen: das Fehlen von Empathie, die komplett egozentrische Weltsicht, die übersteigerte Empfindlichkeit und die Entwertung anderer. Es lässt sich leicht vorstellen, wie viel traumatisches Potenzial für den Umgang mit Kindern in diesen Eigenschaften steckt.

Tatsächlich lernt ein kindliches Nervensystem sehr früh, sich an die Umgebung anzupassen, um zu überleben und entwickelt Adaptionstechniken, um mit dem traumatisierten Feld umzugehen. Als Kinder erklären wir das verletzende Verhalten unserer Eltern damit, dass wir wohl schlechte Menschen sind (denn sonst würden die Eltern uns ja nicht so behandeln), wir versuchen die schmerzhaften Erfahrungen einzudämmen, in dem wir unseren Körper kontrahieren, und mental kreieren wir Glaubenssätze, die die Erfahrung eindämmen sollen. Wir geben uns also selbst die Schuld an den Übergriffen.

Narzissmus kann zum Familienerbe werden

Das hat Langzeitwirkung. „Viele Traumatisierte suchen sich geradezu zwanghaft immer wieder Umstände, die an das ursprüngliche Trauma erinnern“, hat der Psychiater und Trauma-Experte Bessel van der Kolk festgestellt. Weswegen Menschen, die mit Narzisst:innen als Mutter oder Vater aufwachsen, sich nicht selten Narzisst:innen als Partner oder Partnerin suchen. Die Muster sind ihnen vertraut.

Darin steckt das Risiko einer transgenerationalen Weitergabe: Die Ursachen für Narzissmus, legen Forschungen nahe, können in der narzisstischen Prägung des Familiensystems liegen. Narzissmus wird zum Familienerbe.

Wie Narzissmus entsteht

Zum einen, nehmen Wissenschaftler:innen an, befördert eine Überbewertung des Kindes, ein kritikloses Loben seiner Fähigkeiten die Entwicklung einer übertriebenen Selbstwahrnehmung. Ebenso deutlich sind aber Vernachlässigung, permanente Abwertung, Liebesentzug als Bestrafung und konkrete Traumatisierung durch Gewalt zentrale Risikofaktoren.

Der Wendepunkt: sich Hilfe holen

Wie immer stellt sich im Anschluss an die Diagnose die Frage nach der Lösung. Narzisst:innen sehen in der Regel keinen Anlass, ihren Narzissmus behandeln zu lassen. Das ist Teil der Symptomatik – nicht sie, die anderen sind ja das Problem. Umso drängender ist das Problem für ihre Partner:innen, ihre Kinder. Die Empfehlung der Trauma-Therapeutin Sonika Husfeld-Suethoff: Sie sollten sich anderen öffnen. „Wenn das Eingeständnis gelingt, dass ich Hilfe brauche, ist ein bedeutender Schritt getan. Das kann der Wendepunkt sein. Von hier an geht es nicht mehr um den oder die Narzisst:in. Von hier geht es um das eigene Bedürfnis, die eigene Kraft.“

 

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