Das Goldkörnchen im Mist

Eine Krise ist eine Krise ist eine Krise – und erst, wenn wir uns emotional einigermaßen stabilisiert haben, eine Chance. Über richtig und falsch verstandene Ressourcen-Orientierung.

Eine Krise ist eine Krise ist eine Krise – und erst, nachdem wir uns emotional einigermaßen stabilisiert haben, eine Chance. Über richtig und falsch verstandene Ressourcen-Orientierung.

Ich kenne viele Leute, die geradezu verliebt sind in Probleme. Nicht in ihre eigenen – in meine. In keiner Rolle fühlen sie sich wohler als in der des tatkräftigen Troubleshooters und Rat-Gebers. Zuhören ist nichts so ihrs. Wenn ich zu lange brauche, um mein Leid zu klagen, beginnen die Blicke zu flackern, die Füße zu wippen. Sie warten begierig auf das Ende meiner Problembeschreibung – denn sie kennen ja längst die Lösung! „Du, das kenne ich, so ging’s mir auch mal, und da habe ich …“ Gerne genommen ist auch die knappe Analyse, warum meine bisherigen Lösungsversuche keinen Erfolg haben konnten. „Nee, das musst du anders machen, also ich …“ Und beim Abschied das unvermeidliche „Mensch, Kopf hoch, das wird schon wieder.“

… Diese drei Punkte stellvertretend für alle Verwünschungen, die mir gerade durch den Kopf gingen.

In der Trostlosigkeit wirkt Aufmunterung wie Spott

Ja, in jeder Krise steckt eine Chance. Das ändert allerdings nichts daran, dass sie zunächst mal eine Krise ist und sich richtig, richtig mies anfühlt. Ich bin mit allen Versuchen der Bewältigung, die mir eingefallen sind, gescheitert und weiß weder ein noch aus. Wenn jetzt einer um die Ecke kommt und mir, wahlweise in warmherzig-mitleidigem oder auch aufmunterndem Ton, sein „Kopf hoch“ präsentiert, kann das je nach Verfassung einen tätlichen Angriff oder den Zusammenbruch auslösen – in der Trostlosigkeit wirkt Aufmunterung wie Spott!

Es stimmt schon, auch Studien zu Coaching und Therapie belegen den Zusammenhang eindeutig: Das Verharren beim Problem hilft nicht bei der Lösung, sondern schafft eher eine Probleme-Trance, einen Gedankenkreisel um immer dieselben Sachverhalte und ein Gefühl der Hoffnungslosigkeit. Natürlich sollten wir immer das Bewusstsein für unsere Ressourcen behalten. Das heißt aber keineswegs, dass man nur möglichst schnell zur Lösung kommen müsse, um die Sache los zu werden. Eine befreundete Therapeutin nennt diese weit verbreitete Unart: „Das Problem mit der Lösung zudecken“.

Was ist die Essenz meines Problems?

Bevor ich überhaupt in der Lage bin, mich Lösungen zuzuwenden, sollte ich wirklich im Gefühl angekommen sein, das dieses Problem auslöst. Und innehalten. Den Schmerz eine Weile aushalten und dem Unbewussten eine Chance geben, meinem Bewusstsein die Botschaft zu schicken, worum es hier eigentlich geht. Was ist die Essenz dessen, was ich gerade erlebe? Ist das Problem, mit dem ich mich hier herumschlage, vielleicht nur das Symptom für eine tiefer liegende Aufgabe, die ich bisher nicht anschauen wollte? Sollte ich aufräumen mit meiner Vergangenheit? Oder steht eine grundlegende Wandlung an? Was steigt auf, wenn ich still werde und einfach mal gar nichts tue, Trauer, Wut oder Angst? Vielleicht erkenne ich auf einmal den wahren Grund meiner Not – und habe ein Goldkörnchen gefunden inmitten von all dem Mist.

Bitte keinen Rat, sondern ein offenes Herz

Was ich in dieser Situation nicht gebrauchen kann: jemanden, der mir Ratschläge gibt, und seien es auch die allerbesten. Jetzt ist nicht die Zeit zu raten oder gar zu handeln. Jetzt ist die Zeit der inneren Klärung. Und der emotionalen Unterstützung. Deswegen die Bitte an alle, die es wohl meinen: Liebe Leute, hört einfach zu und fühlt mit. Gerade jetzt bitte keinen Rat. Sondern nur ein offenes Ohr. Und ein offenes Herz.

Foto: Arndt Vladimir, Thinkstock

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