Ulrich Tukur, einer der bekanntesten Schauspieler Deutschlands, holte Ruth Rupp 2003 auf die Bühne – in seine Inszenierung der „Dreigroschenoper“ an der Hamburger Reeperbahn. Da war sie 77. Was ihn beeindruckt: wie offen sie auch über ihre dunkelsten Stunden spricht. Ulrich Tukur schrieb das Vorwort ihrer Biografie, „Der Traum vom Leben in dir“.
Sein Vorwort beginnt er mit einem Scherz, der typisch ist für diesen leidenschaftlichen Geschichtenerzähler: „Wann genau ich Ruth kennenlernte, kann ich gar nicht mehr sagen. Es muss so um 1934 gewesen sein.“ Nun ja, Tukur wurde 1957 geboren, ganz korrekt kann seine Jahresangabe nicht sein.
Ruth Rupp erzählt vom Irrsinn deutscher Geschichte
Aber ernst fährt Ulrich Tukur fort: „Ich war einigermaßen verblüfft, einen Menschen kennenzulernen, im gleichen Jahr wie mein Vater geboren, der den Irrsinn des Zweiten Weltkriegs, die Apokalypse des Zusammenbruchs und die dunklen Hungerjahre danach erlebt und durchlebt hatte, so wach und detailreich davon erzählen konnte und dabei so jung und neugierig geblieben war.“ Tukur ist bekannt für seine intensive Auseinandersetzung mit der deutschen Geschichte. Er sagt: „Ich habe alten Menschen immer wieder Fragen nach der Zeit gestellt, in der sie aufwuchsen, nach der Zeit des Nationalsozialismus und des Krieges. Viele reden nicht. Das Wissen um den Holocaust und die Schrecken des Krieges hat sie stumm gemacht. Wenn ich sie fragte, dachten sie wohl, ich wollte sie angreifen. Ruth nicht. Von ihr bekommt man Antworten. Sie hat es erlebt und erzählt davon frei und lebendig und unideologisch. Ich kenne wenige Menschen, die das tun.“
Ulrich Tukur: „Diese Stärke haben nicht viele“
Und liebevoll beschreibt der prominente Schauspieler, was er an der mittlerweile 92jährigen so mag: „Sie hat eine innere Stärke, die überhaupt nicht laut ist, etwas Kreatürlich-Kraftvolles, ganz einfach das Herz am rechten Fleck. Diese Lebensbildung kannst du auf keiner Universität lernen. Sie hat ein Element von liebenswürdigem anarchistischem Aufbegehren, geistiger Unabhängigkeit und Nonchalance, um dem die Stirn zu bieten, was Konvention ist. Im Alter verhält man sich eigentlich nicht so – andererseits: Warum nicht?! Und sie macht das mit Stil. Diese bewundernswerte Stärke, die haben in ihrem Alter nicht viele Menschen.“
Sie bietet der Konvention die Stirn
Der Konvention die Stirn bieten: Damit hat sie früh begonnen. Als angstfreies Kind in einem Beamtenhaushalt, in stiller Rebellion in der von Nazis geprägten Schule, auf dem Kasernenhof mit bunten Norweger-Handschuhen, um sich von Militärs zusammenbrüllen zu lassen. „Zurück, Marschmarsch! Handschuhe aus!“. Das kokette Grinsen, wenn Ruth Rupp davon erzählt, ist einfach wunderbar. Und erst recht ihr Kommentar: „Ich provoziere ganz gerne solche Leute, die andere in Reih und Glied brüllen. Sonst ist das Leben ja auch langweilig.“
Mit 92 ein aktiver und zufriedener Mensch
Das ist wahrlich das Besondere an ihr: Sie ist klein, nur 1,43, aber aufrecht. Und sie erzählt offen auch über schwierige Zeiten. Dieser Mut, sich allen Themen ihres Lebens zu stellen – dem frühen Tod ihrer großen Liebe und der achtjährigen Pflege ihrer dementen Mutter – erklärt, warum sie auch im Alter von 92 Jahren ein so offener, aktiver und zufriedener Mensch ist. Ruth Rupp hat die Umbrüche ihres Lebens mit großer Energie gemeistert. Aber sie sagt auch: „Wenn ich vorher gewusst hätte, was auf mich zukommt, hätte ich behauptet: Das schaffst du nicht. Dann habe ich’s aber doch geschafft. Und es hatte alles seinen Sinn.“
Hier der Blick ins Buch „Der Traum vom Leben in dir“.